Tischtennis und die Antizipation
In einem hintergründig-spritzigen Feature von Thomas Grasberger, das heute erstmals im Bayerischen Runkdfunk BR2 ausgestrahlt wurde und in der Mediathek unter dem Titel Sport ist Wort. Literaten und ihre Leibesübungen abrufbar ist, wird neben anderen Schriftstellern wie Ludwig Thoma oder Wolf Wondratschek auch Herbert W. Franke mit seiner Sport-Leidenschaft, in seinem Fall dem Tischtennis, vorgestellt. Seit der Kindheit, als er Mitte der dreißiger Jahre bei der Tante am Küchentisch das Tischtennisspielen für sich entdeckte, ist er dem Sport bis ins hohe Alter von über neunzig Jahren treu geblieben, wie das Foto aus dem Jahr 2009 dokumentiert. Jahrzehntelang kämpfte er mit seiner Mannschaft um Liga-Punkte. Erst die Corona-Pandemie hat ihn „von der Platte“ geholt.
Doch Herbert W. Franke wäre nicht er selbst, wenn er das Thema nicht auch wissenschaftlich ergündet hätte. Der passionierte Tischtennisspieler stieß in den sechziger Jahren im Zusammenhang mit seinen wahrnehmungspsychologischen Überlegungen zur Kunst auf die Frage, wie es dem Tischtennisspieler überhaupt möglich ist, diesen Sport zu betreiben. Denn tatsächlich fliegt der leichte Ball bei Schmetterbällen mit bis zu 180 km/h mit extrem hoher Geschwindigkeit hin und her. Damit war klar, dass die damals erstmals neurophysiologisch genau ermittelte Reaktionsgeschwindigkeit des menschlichen Gehirns garnicht ausreicht, um aus der beobachteten Anfangskurve die Flugbahn in so kurzer Distanz zu berechnen, und daraus eine gezielte Antwort auf einen Schlag des Gegenübers zu planen. Franke faszinierte dieser Aspekt – die wissenschaftliche Frage dazu: Wieso kann der geübte Spieler dennoch gezielt reagieren, obwohl er dafür wahrnehmungspsychologisch gar nicht schnell genug denkt? Dabei setzte er auch auf neuesten Messergebissen des Lehrstuhls für Photogrammetrie und Kartographie der Technischen Universität Braunschweig auf – und kam zu dem Ergebnis, dass der gute Spieler die Flugbahn bereits durch die Körper- und Schlägerhaltung des Gegenübers „antizipiert“ – also schon bevor dieser den Schlag überhaupt ausgeführt. So kann er aus dieser Antizipation heraus Flugbahn und Reaktionsanforderung rechtzeitig berechnen. Unter dem Titel Training der Antizipation – biologische Grundlagen des Tischtennisspiels hat Franke dazu in einer Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts des Jahres 1969 einen Artikel mit psychologischen und neuronalen Forschungsergebnissen veröffentlicht. Darin heißt es: Der Tischtennisspiel bewegt sich an der Grenze des menschlichen Reaktionsvermögens und trainiert die „Antizipation“ – das Reagieren auf die Absicht und nicht auf die Handlung des Gegners.
Und sogar in seinem Roman Flucht zum Mars, in dem treffen wir seine Helden bei Leibesübungen in den Höhlen der Marsvulkane, die sie sich als strahlungssichere Unterkunftsquartiere umgestaltet haben. Wobei? Beim Tischtennis spielen natürlich! – was sonst?