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Literarischer Pionier Science Fiction

von Prof. em. Dr. Hans Esselborn (Universität Köln), Literaturwissenschaftler und Mit-Herausgeber der Werkausgabe

Autoren-Lesung Herbert W. Franke Die Zukunftsmaschine

Gleich mit seinem ersten publizierten literarischen Werk Der Grüne Komet schaffte Franke 1960 den Durchbruch zum anerkannten Autor. Die Story-Sammlung erschien in einer Reihe, mit der der Goldmann Verlag erstmals in Deutschland die anglo-amerikanische Version der Science Fiction präsentierte und die in der Folge den deutschen Zukunftsroman im Stile Hans Dominiks ablöste. Ab 1961 erscheinen dann seine erfolgreichen Romane, in denen er diese neue deutsche Science Fiction fortführt, zunächst noch mit dem traditionellen Untertitel „utopisch-technischer Roman“, spätestens mit der Veröffentlichung bei Suhrkamp als „Science-fiction-Roman“. Viele Texte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und auch im damaligen Ostblock einschließlich der DDR publiziert.

Als Frankes wichtigste Pionierleistungen sind zwei Dinge hervorzuheben: Erstens die Fortentwicklung der statischen politischen Dystopien des 20. Jahrhunderts von Samjatin bis Orwell und zweitens die Einführung des Computers zur Steuerung der Gesellschaft und zur Simulation der Realität bis zu eigenen virtuellen Welten.

Autoren-Lesung Herbert W. Franke Sprung ins Nichts

Die seismographische Science Fiction Frankes kann aufgrund der geänderten politischen Lage einerseits die Befreiung durch Widerstand imaginieren und andererseits die neuen Herrschaftsmittel ergründen. Die Entwicklung der Industriegesellschaft fördert den wirtschaftlichen Wohlstand, und die soziale Kommunikation mit neuen Medien erlaubt eine subtilere politische Ordnung als durch Überwachung und Terror, nämlich durch befriedenden Konsum von Gütern und eine beruhigende Ablenkung durch Unterhaltung. Die totale Versorgung und Unterhaltung macht die Menschen zwar scheinbar glücklich, entmündigt sie aber in Wirklichkeit. Franke trägt so dem Aufkommen des Fürsorgestaates in West und Ost in seinen Texten vorausschauend Rechnung.

Franke berücksichtigt erstmals die Rolle des Computers zur Datenverarbeitung, zur Regelung von Maschinen und zur Meinungsverbreitung und entwirft die Möglichkeit einer technischen Manipulation der Wahrnehmung durch perfekte Simulation. Er beschreibt die Funktionen der Virtualität, nämlich die Schaffung einer Scheinwelt und die Problematisierung des Wirklichkeitsbegriffs, die neben ihm Stanislaw Lem thematisierte, lange Zeit vor William Gibsons Cyberspace.

In Frankes Romanen verbindet sich insgesamt die Kritik der statisch-autoritären Utopie und die Zeichnung negativer gesellschaftlicher Entwicklungen wie in den berühmten Dystopien des 20. Jahrhunderts mit utopischen Perspektiven der Ausflucht und der Befreiung, so dass in der Handlung die Eindimensionalität der Utopie bzw. der Antiutopie überwunden wird. Frankes Romane lassen sich nicht auf eine Richtung festlegen, sondern verbinden Züge der Utopie, Antiutopie, Dystopie und Heterotopie schon allein deshalb, weil die Dynamik des Erzählens und nicht die Norm einer Gesellschaft im Vordergrund steht und dadurch die Stoßrichtungen der verschiedenen Formen der Utopie und ihrer Gegensätze relativiert werden.

Autoren-Lesung Herbert W. Franke Kontaktversuch

Vor allem die frühen Romane sind vom Thema der politischen Diktatur bestimmt, die von persönlichen (Glasfalle, Schule für Übermenschen, Kälte des Weltraums) oder öf­ter anonymen Machthabern (Gedankennetz, Stahlwüste, Hiobs Stern, Sphinx_2) bzw. von übermächtigen und unfehlbaren Riesenrechnern (z.B. Omnivac in Elfenbeinturm, ähnlich Zone Null und Ypsilon minus) ausgeübt wird. In Die Glasfalle von 1962 herrscht in der prekären Situation nach einem Atomkrieg eine persönliche Militärdiktatur, die nur durch Drogen über den Mangel hinwegtäuschen kann. Die Pläne des Diktators haben wie die klassischen Utopien eine statische Ordnung zum Ziel. Die Ordnung wird in späteren Romanen alternativ zur Diktatur durch eine fürsorgliche Bevormundung aufrechterhalten wie in Orchideenkäfig, Flucht zum Mars oder ergänzend zu ihr in Ypsilon minus, Zone Null und Sphinx_2. In den Texten der sechziger Jahre scheint die Situation noch hoffnungslos, so dass höchstens die Flucht bleibt, in den Siebzigern und Achtzigern dagegen bietet der Widerstand von Einzelgängern oder Gruppen wie in Tod eines Unsterblichen und Zentrum der Milchstraße eine Chance auf Befreiung. Es treten dann teilweise auch neue Themen in den Vordergrund, nämlich die Aliens (Dea Alba, Transpluto, Elfenbeinturm), die ökologische Katastrophe (Endzeit, Hiobs Stern, Cyber City Süd) oder die Virtualität (Sirius Transit, Zentrum der Milchstraße), die schon vorher besonders als Mittel der Diktatur (Gedankennetz, Orchideenkäfig, Glasfalle) ein zentrales Motiv war.

Ein zentrales Thema für Franke sind die Auswirkungen der Digitalisierung. Es gibt praktisch keinen Text des Autors, in dem der Computer als Rechenmaschine oder als Künstliche Intelligenz keine Rolle spielt. Franke beschreibt die vielfältigen Möglichkeiten der Anwendung von Rechnern mit ihren sozialen und psychologischen Folgen. Dabei wird die Technik in ihrer Ambivalenz gezeigt: von der Entwicklung perfektionierter Überwachung bis zu synthetischen, digital denkenden Wesen als Antagonisten des Menschen. Franke schafft mit solchen Szenarien keine unveränderbaren und geschlossenen Welten, sie können auch der Veränderung dienen, wenn man sie entsprechend benutzt. Diese Modernisierung der Mittel verweist auf die reale Entwicklung der Computer, die Franke miterleben konnte.

Autoren-Lesung Herbert W. Franke Sind Sie es, Mr. Smith?

Franke z.B. hat zwar einerseits mit seiner Herausgeberschaft die amerikanischen Version der Science Fiction in Deutschland verbreitet, aber andererseits selbst mit seinen Werken die deutsche Tradition eines sozialen und reflektierten Zukunftsromans fortgesetzt. Dabei hat er die neuen Merkmale des Erzählens des späten 20. Jahrhunderts übernommen, die Spannung durch eine aktionsreiche Handlung mit Momenten des Kriminal- und Agentenromans, die Fokussierung auf eine individuelle Hauptfigur, mit der sich der Leser identifizieren kann, und als Tribut an die Moderne den Wechsel der Perspektiven, welcher die Darstellung und Reflexion komplexer Zusammenhänge erlaubt. H.W. Franke hat so die politischen, sozialen, wissenschaftlichen und literarischen Entwicklungen nach dem 2. Weltkrieg in seinen Texten seismographisch umgesetzt und imaginativ weitergedacht und damit der deutschen Science Fiction insgesamt einen neuen Weg zur Darstellung möglicher Zukünfte eröffnet.

Angemerkt sei zuletzt noch diese Facette des Autors: Bei aller Seriosität und Ernsthaftigkeit, mit der Franke als Literat arbeitet, beherrscht er auch die humoristische Seite, wie er unter anderem in der Story Sind Sie es Mr. Smith beweist.

Über den Autor dieses Textes: Hans Esselborn hat zahlreiche literaturwissenschaftliche Arbeiten zur Klassik der Moderne sowie mehrere Fachbücher zur Literaturgeschichte der Science Fiction veröffentlicht, zuletzt Ordnung und Kontingenz. Das kybernetische Modell in den Künsten. Als Mit-Herausgeber der Werkausgabe von Herbert W. Franke zeichnet er verantwortlich für etliche kommentierende literaturwissenschaftliche Texte.