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Herbert, ich und unser apple II

Erinnerungen vom Beginn der Heimcomputer-Epoche und wie wir 1980 unseren ersten Heimcomputer erwarben: den epochalen apple II.

Susanne Päch

Herbert und ich – 1980 bei einem Empfang in Wien.

Ich kann mich noch gut erinnern, als der apple zu uns nach Hause geliefert wurde und wir ihn vorsichtig wie ein rohes Ei aus der Verpackung holten. Wir haben damals, wenn ich mich richtig erinnere, für den Computer und die beiden Laufwerke an die 2.000 D-Mark gezahlt. Wir waren sehr stolz, nun einen solchen frei programmierbaren PC selbst zu besitzen. Er sah eher wie eine etwas merkwürdig geformte Schreibmaschine aus, nicht sonderlich spekatulär also, und er hatte diesen aus meiner Sicht recht scheußlichen hellen Beigeton. Aber man konnte den Deckel aufmachen und dann sah man, dass da etwas Elektronik drin verpackt war. Für mich allerdings weniger als ich mir das vorgestellt hatte. Die beiden Floppydisk-Laufwerke waren jedenfalls schnell angeschlossen, von einem der beiden musste man den Rechner zuerst booten. Eine System-Floppy war dafür mitgeliefert worden. Natürlich wurde der Rechner sofort an den Fernseher angeschlossen. Denn einen Monitor dazu kauften wir nicht. Das war uns einfach zu teuer. Und wir wussten ja, dass man den apple auch mit einem Fernseher nutzen konnte. Das hatte allerdings einen erstaunlichen Nebeneffekt, den ich erst viel später realisiert habe, als ich das Programm letztes Jahr erstmals auf einem richtigen apple-Monitor dieser Zeit gesehen habe. Ich war geschockt, als ich die Farben auf dem apple-Monitor sah – einfach schrecklich: knallbuntes Rot, giftiges Grün – alle Farben in extremer Sättigung, die man, wie ich dann auf Rückfrage schnell lernte, auf dem apple Monitor damals überhaupt nicht verändern konnte. Herbert hätte das absolut nicht gefallen, weiß ich. Insofern kann ich heute niemandem das Recht geben, die Programme auf einem originalen Monitor öffentlich zu zeigen. Auch für das Programm Zentrum habe ich großen Wert darauf gelegt, die Farben so darzustellen, wie sie Herbert als Künstler für sein Werk gesehen und freigegeben hat.

Standbild aus dem heute schon ikonische Programm MONDRIAN auf dem TI 99/4.

Die Prozedur mit dem TV-Gerät als Monitor war uns schon vom TI 99/4 bekannt, den wir 1979 von Helmut von Falser, damals im Topmanagement von Texas Instruments,  geschenkt bekommen hatten. Im Auftrag von TI hatte Herbert das Programm MONDRIAN konzipiert.

Angeschlossen wurde auch unser apple nun noch konventionell über ein TV-Antennenkabel – und das „first light“ des neuen Home Computers wurde für uns ein bleibendes Erlebnis. Piep und Kurserblinken setzte ein – einfach grandios! Wir waren drin! Herbert hat natürlich sofort damit begonnen, die ersten Zeichen mit dem Computer im Zweifingersystem zu tippen. Das war für ihn ausgesprochen ungewohnt, denn bis dato hasste er Schreibmaschinen. Er sagte: „Ich kann nicht so schnell schreiben wie ich sprechen kann.“ Deswegen diktierte er bis zum Ende des Jahrhunderts alle seine Texte und Briefe. Das Tippen auf der Tastatur des apple fiel ihm daher anfangs sichtlich schwer. Erst in den 2000er Jahren, als er niemanden mehr fand, der seine Aufnahmen vom Band halbwegs erschwinglich bereit war abzutippen, ist er dann auch dazu übergegangen, seine Texte zu tippen. Durchs Programmieren hatte er inzwischen schon so viel Routine gewonnen.

So sahen“unsere“ Farben für Zentrum und die apple-Programme aus.

Zurück zu unserem brandneuen apple: Herbert konnte, wie gesagt, nicht tippen – und außerdem hatte er natürlich keine Ahnung von BASIC. Aber für die bessere Beherrschung der digitalen Maschine hätte er fast alles getan. Es war learning by doing, eigentlich so, wie wir es in unserem Leben immer gehalten haben. Bedienungsanleitungen haben uns nie interessiert. Lieber auf eigene Entdeckungsreise durch die Maschinenwelt gehen, als trockenen Anweisungen zur Bedienbarkeit zu folgen. Wir sind die ersten Tage jeden Abend am apple gesessen und haben bald die Grundlagen der Programmierung von BASIC verstanden. Herbert fing schnell an, kleine Programme in schwarzweiß zu schreiben. Ich muss gestehen, dass Herbert noch begeisterter war als ich. Er freute sich wie ein kleiner Junge, wenn da mit seinem Prgoramm Striche auf dem TV-Gerät zeichnen konnte. Hätte er damals nicht viele Aufträge für Artikel gehabt und außerdem an seinem Roman „Schule für Übermenschen“ geschrieben, er hätte gar nicht mehr von seinem neuen Spielzeug gelassen.

Die Keyboards, die Herbert seit 1982 über eine Midi-Schnittstelle an seine PCs anschloss, um Programme mit Musik zu steuern.

Erste Experimente mit einer Midi-Schnittstelle begannen schon bald mit dem 1982 neu hinzu gekommenen apple GS. Herbert nutzte sie vor allem, um Programm-Parameter durch ein live gespieltes Keyboard zu steuern oder – bald auch bei öffentlichen Auftritten – von einem live spielenden Musiker. Neben der Dynamik laufender Programme war für ihn die Kombination von Musik und Grafik ein zentrales neues Element der Nutzung von Computern für die rein künstlerische Umsetzung. Weiter war ihm wichtig, dass sich Programme am PC auch interaktiv nutzen ließen und somit den Betrachter aus seiner passiven Rolle in eine gestaltende Mitwirkung hineingezogen werden konnte, wenn er das wollte. So gab es schon bei MONDRIAN neben dem automatischen Lauf eine Version, in der der Nutzer durch Tastendruck unterschiedliche Parameter wie etwa Farben, Balkendichte und -länge selbst bestimmen und auf diese Weise ein Bild nach eigenen Vorstellungen gestalten konnte. 

Das alles war irgendwie zukunftweisend, brachte jedoch auch ein großes Problem mit sich: die Dokumentation der laufenden Bilder. Es gab damals so etwas wie Screenshots nicht – oder gar Software, mit der man die Vorgänge auf dem Bildschirm hätte aufzeichnen können, ebenso fehlte es an erschwinglichen Farbdruckern. Wollte man bunte Bilder eines Programms dokumentieren, dann gab es nur die Möglichkeit, für Standbilder eine danals noch analoge Fotokamera oder aber für bewegte Sequenzen eine VHS-Videokamera vor den Monitor zu stellen. Genau das haben wir getan. Es gibt in unserem Archiv deshalb etliche Kleinbild-Fotoserien aus den 1980er Jahren, ein paar kurze Videoclips der frühesten apple-Programme Anfang der 1980er in schwarzweiß und einige Farbclips aus dem Jahr 1982. Die auf einem Stativ befestigte VHS-Amateuerkamera bzw. der Fotoapparat wurde etwa zwei Meter vor dem Bildschirm aufgestellt, und das Objektiv möglichst parallel zum Bildschirm ausgerichtet, um perspektivische Verzerrungen des Abbildes möglichst zu verhindern. Dafür haben wir vom Objektiv zu den vier Ecken des Fernsehers mit einer Schnur die Entfernung gemessen und so lange rumprobiert, bis die Abstände zu den vier Ecken ungefähr gleich waren. Dann wurde das Licht im Raum gelöscht, so dass nur noch der Bildschirm leuchtete – wir starteten das Programm mit dem berühtem Befehl „run“ und schauten den sich aufbauenden und verändernden Bildern bei eingeschalteter VHS-Kamera gebannt zu. Ging es um eine Fotodokumentation, dann wurden im Abstand von 3 bis 5 Sekunden Fotos mit 1/6 Sekunden geschossen – selbstverständlich mit einem Auslöser, um das Wackeln der Fotokamera zu verhindern.

Herbert 1983 – im Hintergrund der apple GS, Nachfolger unseres apple II.

In den ersten Monaten des BASIC-Lernens hat Herbert bei mir gern Feedback über seine Fortschritte eingeholt. Für mich war es auch schön, denn es war sehr emotional, Herberts Freunde seinen Programmie-Fortschritten zu verfolgen. Es war für ihn wie der Zugang in eine bisher verschlossene, geheimnisvolle Welt. Wir sind immer wieder zusammen am Rechner gesessen, er hat mir neue Programmteile vorgestellt und wollte meine Meinung hören. Gelegentlich konnte ich sogar mit der einen oder anderen Anregung beitragen. Am tiefsten in Erinnerung geblieben sind mir jedoch zwei spezielle Fälle: Herbert saß am Rechner und gab Unmutsäußerungen von sich, die ich – am Schreibtisch neben ihm – natürlich wahrnahm. Ein Programm lief dann einfach nicht so wie es sollte. Als ich ihn da so frustriert sitzen sah, bin ich zu ihm rüber gegangen und habe gefragt, was denn das Problem sei.  Er meinte: „Das Programm läuft einfach nicht richtig. Die Bilder bleiben nach kurzer Zeit stehen. Und ich finde den Fehler im Programm einfach nicht.“ Dazu ist es interessant zu wissen: Die Programme von Herbert waren meist nicht sonderlich lang, da er viel mit Zufallsgeneratoren und rekursiven Loops arbeitete – nicht, weil er das Konzept philosophisch so interessant fand (obwohl das schon auch…), sondern einfach deshalb, weil er damit Rechenzeit sparen und so die Bilder überhaupt erst in Bewegung setzen konnte. Der „Zwang“ des Faktischen, Mangel-Optimierung … das war die Herausforderung.

Hätte er seine Programme rein algorithmisch durchgestaltet, hätte er damals gar keine dynamischen Sequenzen hingekriegt. Also: Die apple-Programme waren kurz, meist nur zwischen 20 oder 50 Zeilen. Nun aber zu meinem großen Auftritt. Ich ging zu ihm rüber, blickte ihm über die Schulter und fragte: „Wie ist denn die Struktur des Programms?“ Dann erklärte er mir kurz, wo welche Zeilen miteinander verknüpft waren und was das Programm grundsätzlich machen sollte. Ich sagte: „Schau mal, hier, könnte das nicht diese Zeile sein, die passt doch nicht richtig an den Anschluss da oben.“ Das erste Mal, als mir das gelang, hat mir Herbert dann sehr beeindruckt geantwortet. „Unglaublich, Du kommst her und findest den Fehler sofort. Du kannst ja viel besser programmieren als ich!“ Naja, das war natürlich voll übertrieben, und Herbert wie auch ich wussten das, aber irgendwie tat das Lob trotzdem gut. Und wer weiß, wie lange Herbert in der eigenen Betriebsblindheit noch gebraucht hätte, den Fehler selbst zu finden. Jeder kennt das Phänomen.

Unsere Katze Kati mit mir 1983 am PC, dem DEC professional 350, den ich schnell für meine journalistische Arbeit „konfiszierte“.

Von den frühesten Programmen, die alle zwischen 1980 und 1982 auf diesem apple II entstanden, der seit 2007 wie inzwischen die meisten anderen PCs von Herbert im Zentrum für Kunst und Medien | ZKM Karlsruhe sind, war und ist für mich immer Zentrum das schönste geblieben. Ich habe es all die vielen Jahre immer in klarer Erinnerung behalten – sowohl in der schwarzweißen Version von 1980 als auch in der Farbversion, die kurz darauf entstand. 1982 haben wir einige dieser aus Herberts Sicht besten Programme als kurze Videoclips mit der neu erworbenen VHS-Amateuerkamera – für heutige Verhältnisse in einer lausigen Bildqualtität! – aufgezeichnet. Natürlich wählte ich es deshalb auch für die Transformation in das Web des 21. Jahrhunderts aus. Wichtig war mir allerdings, nicht nur das Programm möglichst nah am Original zu halten, sondern auch die visuelle Anmutung des Röhrenmonitors. Wir haben dessen Ästhetik sehr gemocht. Es entstanden durch die drei minimal versetzten drei Farbpunkte von Rot-grün-blau (RGB) Farbkombinationen, die mittels eines LED-Bildschirms nicht möglich und heute auch nicht emulierbar sind. Dennoch sollte die „originale“ Bildästhetik so gut wie eben möglich erhalten bleiben. Ich bin sehr glücklich, wie Aaron alle diese speziellen Wünsche versucht hat zu erfüllen. Ihm gilt mein großer Dank dafür, dass Zentrum jetzt fast wie ein „Web-Clon“ zu neuem Leben erweckt wurde.

Der „neue alte“ apple II , 2023 bei mir zuhause, auf dem die Kopien der historischen Floppy Disks wieder laufen, die heute wie der historische apple im ZKM | Karlsruhe sind.

Das Programm besteht aus nur zwanzig Zeilen, die öffentlich zugänglich sind. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle zudem, dass es mehrere Versionen dieses Programms gab, so zum Beispiel eine, in der nicht jeder Lauf zentrisch beginnt oder sich das Programm rein symmetrisch aufbaut. Das gibt dem Code einen durchaus veränderten optischen „Touch“.

Sämtliche apple-Programme waren damals übrigens nicht im Computer gepeichert, denn so etwas wie eine Festplatte hatte der alte apple natürlich noch nicht! Die Codes wurden auf einem zweiten Laufwerk abgespeichert – während das erste Laufwerk die Systemdiskette enthielt.

Ich finde es bis heute unglaublich frappierend, dass man mit so wenig Zeilen mit so einfachen Rechnern dank intelligent genutzter Zufallsgeneratoren im Verbund mit ganz wenigen Algorithmen und zahlreichen Programmschleifen einen endlos laufenden, sich nie wiederholenden dynamischen Ablauf mit so großer Ästhetik hinkriegen kann. Immer wieder tauchen überraschende Farb- und Struktur-Kombinationen auf. Ich weiß natürlich, dass mir der Mathematiker sofort widerspricht, denn er kann statistisch die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der ein Lauf mit einer Länge von – sagen wir – 100 Jahren im Milliarden Jahre währenden Universum vom Programm nochmals identisch produziert werden könnte. Diese Wahrscheinlichkeit wäre definitiv nicht gleich Null. Ob Null oder nicht gleich Null – das ist Gottseidank in diesem Zusammenhang nicht wirklich relevant, das jedenfalls finde ich.