Der Geschichtenerzähler – Erinnerungen meines Lebens mit Herbert W. Franke
Herbert war ein Meister des Wortes – und man sollte hinzufügen: des gesprochenen Wortes. Denn fast alle seine literarischen Werke – sowohl die Sachtexte wie seine literarischen Werke – hat er nicht „geschrieben“, sondern „gesprochen“. „Ich kann viel schneller sprechen als tippen“, sagte er stets, wenn er gefragt wurde, wieso er nicht schrieb. Im Umgang seiner im Lauf der Jahrzehnte immer wieder erneuerten Diktiergeräte hat er große Routine entwickelt. Mit Hilfe von Diktiermikrofonen konnte er pausieren oder auch vor- und zurückspulen, wenn er einen Satz nachträglich modifizieren wollte. Die Bedienung wurde ihm so selbstverständlich, dass sie ganz unterbewusst ablief und ihn beim Texten nicht störte.
Seit ich ihn 1979 kennengelernt hatte, war es vor allem der Sommer, in dem er seine SF-Romane schrieb. Dazu setzte er sich mit seinem Liegestuhl meist entweder in den Garten oder aber – bei schlechterem Wetter – ins sonnengewärmte Kakteenhaus. Er blieb stets sehr konzentriert bei über viele Stunden beim Diktieren und war auch beim Essen ein bisschen abwesend. Es musste gerade lange Texte schnell durchziehen, um nicht den Faden zu verlieren. Romane diktierte er in wenigen Wochen. Vor allem die Namen aller handelnden Figuren unter Kontrolle zu halten, war manchmal nicht ganz leicht. Zwar hatte er vor dem Diktieren Stichworte zu Papier gebracht, die auch die Namen der Akteure enthielten. Aber das Konzept war niemals fest gefügt. Er ließ sich gern von der Geschichte treiben, und dann tauchten in er Geschichte plötzlich neue Figuren auf, mehr oder weniger wichtige Figuren – Figuren jedenfalls, die es jedenfalls bei den ersten Überlegungen noch nicht gegeben hatte und die daher auf den handschriftlichen Notizen fehlten. Einmal, so erinnere ich mich, fiel ihm ein Name nicht mehr ein, da hat er dann im einen Platzhalter gesprochen. Im Manuskript musste das dann über etliche Seiten hinweg handschriftlich ausgebessert werden. A propos: Ausbesserungen. Man bedenke, die frühen Manuskripte wurden mit der Schreibmaschine abgetippt. Es war nur sehr eingeschränkt möglich, einen einmal geschriebenen Text zu verbessern. Das ging nur manuell – oder die Seite musste neu geschrieben werden. Das wäre mit Kosten verbunden gewesen, was dem Schriftsteller, der nicht gerade in Geld schwamm, sehr schwergefallen wäre. Das führte ihn generell zu hoher Disziplin beim Diktieren der Texte, aber auch zum Mitdiktieren sämtlicher Satzzeichen – die ihm stets sehr wichtig waren. Und ungewöhnliche Worte oder Fremdworte wurden sicherheitshalber stets buchstabiert.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ein längeres Manuskript zweimal abgetippt wurde, auch in jenen Zeiten nicht, als die Schreibkräfte schon am Computer tippten und so dann Korrekturen leichter möglich waren. Auch später blieb der erste Entwurf meist der einzige. Die nachträgliche Perfektionierung seiner literarischen Werke wollte er nicht. Er sah sich als Autor, der einem virtuellen Zuhörer in einer Parallelwelt eine Geschichte erzählt. Seine Texte waren ganz bewusst der gesprochenen Sprache nachempfunden. Sprache war für Herbert in seiner Literatur keine Kunstform, sondern ausschließlich das Mittel zur möglichst eineindeutigen Kommunikation. Es sollte möglichst unmissverständlich die Gedanken des Erzählers wiedergeben. Alles sollte schlicht und formal eindeutig ausgedrückt sein, um das zugrundeliegende Modell des Romans gut zu erkennen. Die Mehrdeutigkeit war dennoch ein ganz bewusster Bestandteil seiner Werke, die aber gerade nicht in Wortwahl oder Satzbau zum Ausdruck kommen sollte, sondern in der Kontext-Deutung des vorgestellten Zukunftsmodells. Auch Personen waren für ihn daher weniger Individuen mit einem aufwändig ausgebreiteten emotionalen Innenleben. Es waren vielmehr Figuren, die sich in der Zukunft ebenfalls modellhaft verhalten. Die gelegentlich geäußerte Kritik, seine Personen seien sperrig und hätten keine Seele, war eigentlich genau das, was Herbert beabsichtigt hatte. Jeder Leser sollte dieses Innenleben an den eigenen Wünschen, Hoffnungen und Befürchtungen spiegeln. Ich erinnere mich, dass bei einem Stück einmal das Ansinnen aufkam, doch genauer auszubreiten, dass Person A mit Person B eine emotionale Beziehung aufbaut. Herbert hat das zurückgewiesen. Diese Gefühlswelt schwinge zwischen den Zeilen im Text doch mit, und jeder könne sich das selbst dazu denken, war seine Antwort.

Geschwindigkeit im Arbeitsprozess war für jemanden, der so überbordende Kreativität besaß und diese auch auf die Straße bringen wollte, von größter Bedeutung. Sicher führte sie ihn auch zur maschinellen Kunst („kein Maler kann so viele Bilder manuell generieren und dann daraus die besten auswählen“), wenn auch dieser Aspekt sicherlich nicht der zentrale Punkt für ihn war, sich der Computerkunst zuzuwenden. Noch wichtiger blieb für ihn, dass er überzeugt davon war, Kunst und Technik seien die beiden Seiten des menschlichen Wesens und gehörten daher zusammen. Deshalb sollten oder zumindest könnten Künstler im heute auch Technik von heute einsetzen. Herbert wollte kein Diktat von High Tech für die Kunst, sondern sprach sich stets für die Freiheit des Kunstschaffenden aus, der oder die darüber zu entscheiden habe, welche Mittel er oder sie nutzen wollte – aber das gleiche Recht forderte er natürlich für sich selbst und alle seine Freunde in der generativen Community – wie auch für sich als Science-Fiction-Autor, der über die Konflikte schreiben wollte, die den Menschen und die durch Wissenschaft und Technik fort entwickelte Gesellschaft betreffen.
Doch zurück zum Diktieren: Ursprünglich gab es rund 30 Magnetband-Spulen für große Tonbänder, die Herbert in den 1950er bis 1970er Jahre für seine Aufzeichnungen immer wieder überspielte. Diese Bänder haben wir leider bei einer Entrümpelungs-Aktion vor 20 Jahren komplett weggeschissen. In den 1980er Jahren ist Herbert dann auf kleinere Diktiergeräte umgestiegen, die mit Kassetten arbeiteten. Auch davon sind etliche entsorgt worden. Hier im Stiftungs-Archiv sind nur noch fünf dieser Kassetten, di bei diesen Räumungsaktionen büersehen wurden. Einige weitere Tapes lagern – jedoch noch nicht digitalisiert – im Archiv Herbert W. Franke des ZKM | Zentrum für Kunst und Technologie Karlsruhe.
Die fünf zufällig hier noch vorhandenen Kassetten ließ ich vor kurzem digitalisieren. Der Tonkopf des Gerätes, die chemische Schicht der Kassetten oder auch beides waren durch das häufige Abspielen bei einem Tape schon so in Mitleidenschaft gezogen worden, dass diese Aufzeichnung nicht immer einwandfrei funktionierte: Das Tonstudio Südpark hat herausgeholt was geht – dank dir, Julian Scheufler. Nur einige ganz wenige, kurze Stellen sind im Ton etwas verrauscht geblieben. Aber es ist großartig, dass ich nun einige dieser Dokumente von Herbert beim Diktieren seiner Geschichten für die Nachwelt retten konnte.
Gefunden wurden auf den Kassetten: konventionelle Briefpost, sowie das fast vollständige Diktat der SF-Geschichte „Geany Star“, die im Band „Atem der Sonne“ 1986 erschienen ist. Dann tauchten Teile einer weiteren, bisher nicht zugeordneten SF-Story auf sowie der erste Teil eines Gesprächs mit Abraham Moles über Kunst und Technik sowie dessen Überlegungen einer rationalen Kunsttheorie. Dieses Gespräch aus dem Ende der 1960er Jahre wurde anlässlich eines Zusammentreffens der beiden auf einer Tagung aufgenommen, wann genau, ist mir leider nicht bekannt.