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Einstein Digital – wie die Serie entstand

HISTORISCHER TEXT AUS DEM JAHR 1973 _ MANUSKRIPT AUS DEM HERBERT W. FRANKE-ARCHIV DES ZKM KARLSRUHE

Der folgende Text ist ein Zeitzeugnis aus dem Jahr 1973. Franke hält den Moment fest, als eines seiner bekanntesten Werke, der digitale Einstein, in den Forschungslabors von Siemens zum erstan Mal auf dem Monitor des Labors zu sehen war. Franke nutzte eine damals ganz neue Methode in der Computer-Software, die digitale Bildverarbeitung, die mit der nuklear-medizinischen Diagnose für sogenannte Szintigramme eingeführt wurde. Röntgenaufnahmen aus dem Körperinneren konnten damit verarbeitet und in Farbe umgesetzt werden, beispielsweise für die Detektion von Tumoren im Gehirn. In diesem Labor hat es Franke erstmals gewagt, ein Realbild in das System einzulesen und es einer gihitalen Bildverarbeitung zu unterziehen. Das Ergebnis dieses Experiments hat die im Labor anwesenden Forscher sämtlich elektrisiert. Heute gilt diese Bildserie Einstein Digital als ein bedeutendes Werk der Geschichte der damals noch jungen Computerkunst.

Zuerst merkte ich gar nicht, dass sich hinter mir eine ansehnliche Menschenmenge versammelte – darunter ein Direktor, zwei Abteilungsleiter, ein zufällig anwesender Vertreter einer Büroartikelfirma, mehrere Laboranten sowie ein Pförtner und eine Putzfrau. Sie waren ebenso fasziniert wie ich von dem, was auf dem großen Bildschirm des Farbsichtgeräts vor sich ging: Es war ein farbiges Mosaikbild von Einstein, das sich dort in Abständen von einigen Sekunden sprunghaft verwandelte und immer wieder neue Formen annahm. Die Farben waren leuchtend, die Augen, die Wangenpartien, die Konturen nahmen immer neue Töne an, das Portrait wurde nach und nach abstrakt, aber immer noch konnte man des Gesicht Einsteins dahinter erkennen.

„Es ist wie ein Picasso im Zeitraffer”, sagte einer der Zuschauer – und er hätte damit den Eindruck, den wir alle hatten, nicht besser beschreiben können.

Des Sichtgerät war in einer dämmrigen Nische aufgestellt. Die Umgebung hätte nicht nüchterner sein können: ein elektronisches Labor. Auch das Gerät, mit dem ich diesen Bildzauber hervorbrachte, hatte ursprünglich einen ganz anderen Zweck. Es ist der Bildspeicher N, eine Entwicklung der beiden Siemens-Techniker Hans-Jürgen von Kranenbrock und Helmut Schenk. Seine Aufgabe liegt im Gebiet der Medizin – in der Diagnostik. Es handelt sich um ihren modernsten Zweig, in dem radioaktive Strahlen eingesetzt werden, damit der Arzt Krankheitsherde aufspüren kann. …

„Der Computer kann nur geometrische Muster hervorbringen – figürliche Darstellungen sind ihm entzogen“ – so lautet ein oft gehörter Einwand der Kritik. Aber er stimmt nicht, nur braucht der Computer, ehe er ein Ding aus der Umwelt wiedergibt, darüber genauso eine Information wie der Mensch. Er braucht Sinnesorgane, mit deren Hilfe er sich ein Bild machen kann. Wir haben dem Computer ein Sinnesorgan gegeben – eine lichtempfindliche Zelle, wir haben ihm eine Gestalt aus der Umwelt gezeigt: ein Portraitfoto Albert Einsteins. Er hat die Grauwerte registriert und des Bild aus seinem ’Gedächtnis’, dem Speicher, wiedergegeben. Nun aber kam der spannendste Teil. Wie würde ein Computer ein menschliches Gesicht umsetzen? Würde er seine Fähigkeit der ‚geometrischen Verrechnung‘, die dem menschlichen Wahrnehmen, Denken und Gestalten nahekommt,  verwenden um langweilige mathematische Muster zu erzeugen, oder würde sich in seinen Bildern so etwas wie schöpferische Phantasie spiegeln?

Die Ergebnisse sprechen für sich. Würde man ihre Herkunft nicht kennen, so könnte man sie ohne Zögern einem begabten Maler zusprechen.

Freilich – es ist der Mensch, der die Knöpfe bedient, und es ist der Mensch, der diese Anlage gebaut hat – in ihr finden sich die Kenntnisse der Weltraumfahrt, der Computertechnik, der Kernphysik und der Radiochemie ebenso wieder wie die der Sinnesphysiologie und Medizin. Wenn ein Schimmer von schöpferischer Phantasie in ihr festzustellen ist, so ist es die Gestaltungskraft des Menschen, die sich darin ausdrückt. Und trotzdem: Mit Maschinen dieser Art werden wir künftig zusammenarbeiten müssen – bie vielen Aufgaben, auch solchen der Gestaltung, werden sie unsere Partner sein.